Vom 22.03. bis 24.03.2024 fand das erste Treffen der Arbeitsgruppe „Junge Kulturpsychologie“ in Wien und St. Pölten statt. Sechs Promovend:innen bzw. Postdocs aus Österreich und Deutschland hatten sich für dieses Wochenende als Aufgabe gesetzt, Perspektiven für ihr wissenschaftliches Engagement im Anschluss an die vielfältigen Kulturpsychologien auszuloten, denen sie sich jeweils aus unterschiedlicher Perspektive zugehörig fühlten. Dafür trafen sie sich im “Creative Lab” an der Bertha von Suttner Privatuniversität St. Pölten über zwei Tage zu einem lebhaften und produktiven Austausch.
Die im Vorfeld durch Online-Meetings erarbeitete Agenda mit vier thematischen Slots strukturierte den Austausch: 1. Persönliche Wege zur Kulturpsychologie und aktuelle (Dissertations-)Projekte, 2. Kulturpsychologische Themen, Zielsetzungen und künftige Herausforderungen, 3. institutionelle Rahmenbedingungen kulturpsychologisch-wissenschaftlichen Engagements und 4. Transfer in Lehre und Praxis.
Entlang dieser Leitthemen diskutierten die Teilnehmer*innen an beiden Tagen intensiv, was sie mit ihren eigenen und sonstigen Auffassungen von Kulturpsychologie verbanden. Über Kurzvorstellungen der eigenen Projekte lernte man sich kennen und konnte einen Eindruck von der Vielfalt der Themen und bisherigen Erfahrungen vor allem in Sozialwissenschaften und Psychologie gewinnen. Hier wurde deutlich, dass für die Teilnehmer*innen aktuelle und bleibende Themen wie Migration und Flucht, inter- und transkultureller Austausch, Gewalt und Konflikte sowie Umwelt und digitale Transformation Schwerpunkte für die Auseinandersetzung mit kulturpsychologischen Theorien und Methoden darstellen.
Vertieft wurde diese Thematik im zweiten Slot, in dem es um die eigene Perspektive auf Kulturpsychologie(n) und die Frage nach einem „Selbstverständnis“ ging. Es zeigte sich, dass Zielsetzungen und Perspektiven sich je nach fachlicher Selbstverortung unterscheiden. Während für Psycholog*innen die Sensibilisierung für die Bedeutung von Kultur, Gesellschaft und Sozialität innerhalb der Psychologie nach wie vor eine zentrale Aufgabe darstellte, war es aus soziologischer Perspektive eher ein Mangel an Subjektorientierungen in den Sozialwissenschaften, der die Stärkung kulturpsychologischer Ansätze notwendig macht. Die Kulturpsychologie wurde als heterogene Brückendisziplin gesehen, deren Aufgabe es sei, die traditionelle Verortung in Fachbereichen aufzuweichen und Synergien über disziplinäre Grenzen hinweg zu ermöglichen. Übereinstimmend gefordert wurde dabei die Stärkung der Zugänge zu den diversen Forschungsfeldern durch qualitative Methoden, die in ihrer ganzen Bandbreite vorgestellt und vermittelt werden sollten.
Auch Themen jenseits der disziplinären Herausforderungen wurden angesprochen. Hervorgehoben wurde, dass es eine wichtige Aufgabe der Kulturpsychologie sei, sich angesichts grassierender Kriege, gesellschaftlicher Konflikte und Polarisierungen, des Klimawandels sowie des rasanten Fortschreitens der Digitalisierung solcher brennenden Themen anzunehmen, anschlussfähig zu bleiben, aber auch alternativen Fragestellungen Raum zu lassen. Kulturpsychologien sollten sich ihrer gesellschafts- und machtkritischen Potentiale und Positionierungen bewusster sein und diese ausbauen und stärken. Dazu gehört u.a. postmigrantische, postkoloniale, diskriminierungs- und kapitalismuskritische Perspektiven aufzugreifen und zu integrieren.
Der nächste Slot knüpfte mit der Frage an, wie die Herausforderungen des berufs- und wissenschaftspolitischen Engagements eingeschätzt und wo Handlungspotentiale gesehen werden. Möglichkeiten des wissenschaftlichen Transfers werden zum einen in der akademischen Lehre, zum anderen in Kooperationen und Transferformaten in Richtung „Zivilgesellschaft“ gesehen. Beim Austausch über die akademische Lehre im 4. Slot wurde deutlich, dass bereits ein immenser Vorrat an Wissen und Erfahrungen etwa zu forschungsbasierter Lehre unter Einbezug einer vielfältigen Palette an (qualitativen) Forschungs- und Lehrmethoden vorhanden ist. Hier wird ein vertiefender Austausch gewünscht.
Die „Lebensnähe“ und die Einblicke in die Denk- und Handlungsweisen der Forschungssubjekte wurde als eine Stärke kulturpsychologischer Ansätze hervorgehoben. Insbesondere die Kommunikation mit nichtwissenschaftlichem Publikum, die Partizipation und Performativität sollen zukünftig stärker Berücksichtigung finden, über Brückenschläge zur Zivilgesellschaft und durch Zusammenarbeit mit Organisationen, Künstler*innen, Praktiker*innen. Neue Medien können ausgelotet und stärker genutzt werden, etwa Podcasts oder „open publishing“. Schließlich gilt es, inter- und transnational bzw. transkulturell sensibler und sich der eigenen Verortung bewusster zu werden und sich stärker mit „nicht-westlichen“ Wissenschaftler*innen zu vernetzen.
Bei aller Motivation und Zukunftsorientiertheit der Arbeitsgruppe wurde jedoch auch deutlich, dass die Voraussetzungen im Wissenschaftssystem zu produktiver Arbeit und Vernetzung, Verstetigung und Entwicklung nicht die besten sind. Das Fortbestehen von Zentren kulturpsychologischer Forschung steht vielerorts auf der Kippe. Verkrustete Hierarchien und Abhängigkeitsverhältnisse, Stellenunsicherheit und fehlende Planbarkeit, Konkurrenzdruck und negative Entwicklungen bezüglich der Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft – Stichwort „Wissenschaftszeitvertragsgesetz“ – lassen es fragwürdig werden, wie es um die Chancen der Mitwirkenden bestellt ist, im Wissenschaftssystem dauerhaft Fuß zu fassen und gemeinsam kontinuierlich an etwas arbeiten zu können. Dies ist ein limitierender Faktor in Bezug auf Institutionalisierung junger Forschungsgruppen wie jener der „jungen Kulturpsychologie“, welcher auch hinsichtlich der Planung weiterer Aktivitäten im Blick behalten werden muss. Ein Anschlusstreffen im November 2024 wurde anvisiert, um weitere Aktivitäten zu planen. Vorstellbar sind neben der Entwicklung von Austauschformaten mittel- bis langfristig ein gemeinsamer Beitrag auf einer internationalen Tagung, ein Symposium oder eine gemeinsame Publikation.
Motivierenden Zuspruch gab es von einigen Gründungsmitgliedern kulturpsychologischer Netzwerke und Vereine, PD Dr. Hubert Lobnig und Prof. Dr. Ralph Sichler sowie der Gastgeberin Prof. Dr. Aglaja Przyborski, bei einem „Kaminabend“ am 23.03.24 in Wien. Hier wurde viel über die Rahmenbedingungen und historische Entwicklung der Kulturpsychologie erzählt und somit ein hilfreicher und informativer Wissenstransfer an die jüngere Generation geleistet, der in dieser Form für die Arbeitsgruppe sehr erhellend und motivierend war – ähnliche Formate könnten und sollten noch häufiger stattfinden.
Das Treffen wurde durch die großzügige Förderung des Hans Kilian und Lotte Köhler-Centrums (KKC) und der Gesellschaft für Kulturpsychologie e.V. sowie der Bertha von Suttner Privatuniversität in St. Pölten ermöglicht, die auch zukünftig Unterstützung zugesagt haben.
Wer sich an der “Arbeitsgruppe junge Kulturpsychologie” beteiligen möchte, ist herzlich eingeladen, Kontakt aufzunehmen. Die Gruppe ist erreichbar unter junge.kulturpsychologie@suttneruni.at
Einige Fotos von diesem Treffen finden Sie hier.