Die Arbeitsgruppe „Junge Kulturpsychologie“ hat sich zu ihrem 2. Präsenztreffen erneut in Wien/St. Pölten zu einem 3-tägigen Programm eingefunden. Parallel fand an diesem Wochenende an der Bertha von Suttner Privatuniversität in St. Pölten der Theorieworkshop „Personzentrierte Perspektiven: Gesellschaftliche Krisen & (berufs-)politische Dynamiken“ statt, der von Prof. Dr. Aglaja Przyborski mit dem Bereich Psychotherapie der Suttneruni sowie dem Ausbildungsverein “Institut für Personzentrierte Studien” organisiert wurde. Die Gruppe nutzte die Gelegenheit, drei der Vorträge, die in diesem Rahmen gehalten wurden, anzuhören:
- Jürgen Straub: „Die Macht der Gefühle“ (Suttner Vorlesung)
- Michaela Zolles: „Gesellschaft der lebendigen Resonanz. Fully Functioning Person – von den notwendigen Wegen wirkungsstarker Utopien“
- Peter Frenzel: „Die Person – ein politischer Kompass? Was der Personzentrierte Ansatz zur „Neuen Aufklärung“ beitragen kann – und umgekehrt …“
Die drei Vorträge boten eine bereichernde Diskussionsgrundlage für die Arbeitsphasen der Gruppe an den folgenden 2 Tagen. Im Anschluss an die Vorträge fand am Abend des 22.11.2024 in Wien ein Kamingespräch statt, zu dem Aglaja Przyborski in kleinerem Kreis eingeladen hatte. Diskutiert wurde über Ursachen, Dynamiken und Aufgaben bzw. Handlungsmöglichkeiten angesichts aktueller Krisen aus kultur- und sozialpsychologischer sowie personzentriert-psychotherapeutischer Perspektive. Gemeinsamer Nenner all dieser Überlegungen waren somit die aktuellen gesellschaftlichen Krisen, darunter Kriege, Klimawandel, politischer Rechtsruck in zahlreichen Ländern und gesellschaftliche Polarisierungen.
Im ersten Arbeitsslot am 23.11. changierte die Diskussion zwischen Theorie und Praxis, politischer Intervention und wissenschaftlicher Exploration und lotete damit verbundene Spannungsfelder aus. Etwa kam die Frage nach der Verantwortung individueller Akteure in Wissenschaft und Zivilgesellschaft auf: Wo sahen wir als Wissenschaftler:innen/Praktiker:innen bzw. Kulturpsycholog:innen und gesellschaftskritische Individuen eine Verantwortung zu handeln? Wo gab es Interventionsmöglichkeiten und wo Grenzen derselben?
Der Vortrag von Peter Frenzel plädierte für die Entwicklung einer „Neuen Aufklärung“ und eines neuen Werte-Universalismus, um aktuellen Herausforderungen zu begegnen. In unserer Gruppe wurde das Aufgreifen dieser Begriffe ambivalent diskutiert. Kritik wurde insbesondere aus postkolonialer Perspektive gegenüber der Forderung nach einer „neuen Aufklärung“ geäußert. Bestimmte Grundideen einer humanistischen Weltgesellschaft zirkulieren bereits, nur scheinen diese nicht populär oder wirksam genug zu sein, um wirkungsvolle Anstrengungen gegen aktuelle Krisen zu evozieren. Zudem scheint angesichts der akut gefährdeten Lage der Weltgesellschaft eine Versenkung in die theoretische Ausarbeitung eines neuen Werte-Universalismus ein mitunter selbstzentriertes Unterfangen. Als besonders herausfordernd scheint uns aus sozial- und kulturpsychologischer Sicht die (klassische) Frage der Differenz zwischen Einstellungen bzw. Überzeugungen und dem tatsächlichen Handeln von Individuen im Alltag (knowing-doing-gap).
Die Diskussion verlagerte sich deshalb eher in Richtung der Frage, welche Strategien unmittelbar notwendig und wirksam sind, um gemeinsame Ansichten entwickeln zu können, die den Einsatz gegen Klimawandel und Kriege mit Sensibilität für globale Ungleichheitsverhältnisse (und nicht nur ausgehend von „wohlstandschauvinistischen“ Perspektiven) motivieren können. Dabei wurde festgestellt, dass uns als Individuen stets unterschiedliche Wege zu Verfügung stehen und die Festlegung auf eine Strategie (etwa Proteste oder auch der Rückzug in private Schutzräume und Selbstfürsorge) nicht sinnvoll erscheinen. Es wurden ausgehend von einem aktuellen Trend in der Klimagerechtigkeitsbewegung , den “solidarischen Kollapsolitiken”, unterschiedliche Handlungsstrategien gesammelt und diskutiert. Die Auseinandersetzung mit Strategien war auch deshalb interessant, da manche Teilnehmer:innen der Arbeitsgruppe Erfahrungen mit Klima- und Flüchtlingsaktivismus und aktivistischem Forschen gemacht haben.
Als kritische Wissenschaftler:innen sehen wir uns als Teil eines Mosaiks, in welchem es auch um Lernprozesse und um das Zusammenwirken von unterschiedlichen (globalen) Perspektiven geht, deren Ziele generell als emanzipatorisch zu verstehen sind. Dabei gibt es unterschiedliche Wirkungsfelder, die zugleich als Forschungsthemen interessant erschienen:
- Medien in derMedien in der Krisendynamik und Aufgaben für (Wissenschafts-)Kommunikation Krisendynamik und Aufgaben für (Wissenschafts-)Kommunikation
- Protestformen und Möglichkeiten politischer Wirksamkeit
- Soziale Vernetzung und soziale Fürsorge auf Mikrolevel als Beitrag zur Krisenbewältigung bzw. zum Umgang mit diesen
- Beitrag der Forschung auf Ebene der Bildung, der Wissenschaftskommunikation und der (partizipativen) Methoden, die den Kontakt zu verschiedenen Feldern ermöglichen
Am 24.11. fokussierten wir ausgehend von den vorherigen Diskussionen und unseren eigenen Forschungsfeldern die Frage nach Angeboten und Aufgaben der Kulturpsychologie im Umgang mit den aktuellen Krisen. Als interessante Themen für die Kulturpsychologie halten wir fest:
- die Rolle von Emotionen für gesellschaftliche Dynamiken und das Verhältnis zwischen Individuum und Kultur/Politik,
- die Frage nach Räumen und beziehungsstiftenden Erfahrungen, die Polarisierungen etwas entgegensetzen können,
- die Rolle von Kunst und politischem Engagement in der Stiftung gesellschaftlichen Zusammenhalts,
- die Rolle von Einsamkeit für Ressentiment und politischen Rechtsruck,
- die Frage nach der Rolle von Männlichkeiten und Geschlechterverhältnissen,
- die Auseinandersetzung mit Medien und medienvermittelter Kommunikation und deren Rolle für Sozialität
- die Rolle von Betroffenheit, Empathie, Gleichgültigkeit und kognitiver Dissonanz für das Wahrnehmen globalen Leidens (z.B. infolge des Klimawandels für Menschen im globalen Süden)h) Fragen der persönlichen Sozialisation und Deutung der eigenen Biographie hin zu einem humanen und solidarisch-politischen Welt- und Menschenbild
Wir möchten Kulturpsychologie als kritische Wissenschaft verstehen. Als Resümee hat sich die Gruppe deshalb vorgenommen, das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Praxis noch genauer in den Blick zu nehmen und dabei expliziter nach den Angeboten und Potentialen von machtkritischen Perspektiven der Kulturpsychologie zu fragen. Genuine Praxisfelder der Kulturpsychologie sehen wir in der Bildungsarbeit sowie der Methodenentwicklung. Hier sehen wir Nachholbedarf in der niederschwelligen Vermittlung kulturpsychologischer Konzepte und Reflexionsbegriffe, die für Studierende leicht online auffindbar sein sollten (Wikipedia-Artikel und/oder Website).
Das nächste Treffen der Arbeitsgruppe wird im Jahr 2025 in Bochum stattfinden. Bereits jetzt steht fest, dass thematisch die universitäre Lehre und Methoden auf der Agenda stehen werden. Zudem wird angestrebt, sich mit den Austauschpartner:innen der KKC-BMU Munjal Kooperation zu treffen, die im nächsten Frühjahr nach Bochum kommen werden. Hierbei ist das Kernthema dieses Mal Umweltpsychologie und die Reflexion epistemischer Ungerechtigkeit.
Die Treffen der Arbeitsgruppe „Junge Kulturpsychologie“ werden von der Gesellschaft für Kulturpsychologie und dem Kilian-Köhler Centrum an der Ruhr-Universität Bochum gefördert. Wir bedanken uns herzlich für die Unterstützung!